… oder: die Magie von Synonymen
In meiner Rolle als Referentin für Schulungs- und Vermarktungskonzeption bei einem großen deutschen Touristikunternehmen war ich seinerzeit unter anderem für die Erstellung von Schulungskonzepten für Fernreise-Urlaubsländer verantwortlich. Im Rahmen der Schulungen haben wir unseren Reisebüropartnern unsere Produktbandbreite näherbringen und sie mit Insidertipps rund um die touristischen Regionen und unsere dort angebotenen Unterkünfte versorgt.
Niemand konnte mir diese Insiderinformationen besser geben, als die jeweils für die Reiseländer verantwortlichen Produktmanager, die Land und Hotellerie bestens und vor allem persönlich kannten. Ein einfaches Unterfangen also: Fragebogen und Hotel-Fact Sheet an die Produktmanager geschickt, Rückmeldungen gesammelt und daraus eine grandiose, mehrwertstiftende und inspirierende Schulung gestaltet.
Soweit die Theorie. Die Praxis war eher ernüchternd. Nicht, dass ich nicht viele Informationen erhalten hätte. Nicht, dass diese nicht durchweg positiv und verkaufsversprechend gewesen wären. Allerdings hatten alle Rückmeldungen eine Sache gemeinsam: das Wort „schön“. Denn all diese schönen Hotels hatten eine schöne Poollandschaft, einen schönen Meerblick, schön möblierte Zimmer und nicht zuletzt einen wirklich sehr schönen Sandstrand, natürlich in schönster Lage. Definitiv positive Attribute, aber: Wie erklärt man seinen Schulungsteilnehmern die Mehrwerte der einzelnen Hotels, wenn diese doch allesamt schön sind? Wie grenzt man ein schönes Hotel gegen ein anderes ab? Und welches dieser schönen Hotels ist denn nun für welchen Kundentyp besonders geeignet?
Nichtsdestotrotz haben wir mit diesen Attributen eines erreicht: Wir sprechen die Sprache unserer Kunden. Auch der Kunde im Reisebüro beantwortet die Frage nach seiner Wunschunterkunft gern mit: „Ein schönes Hotel sollte es sein.“. Darin sind sich das Produktmanagement und die Kunden schon einmal einig.
Ich trete hier auch keinem Kollegen und keinem Kunden zu nahe, denn: das ist der Wortschatz, in dem wir uns bewegen. „Schön“ ist ein positives Adjektiv, dass auf so ziemlich jede Situation und jede Frage passt.
- „Wie findest du das?“ „Schön.“
- „Wie ist das Wetter?“ „Schön.“
- „Wie ist eure neue Wohnung?“ „Schön.“
- „Wie findest du meine neue Lederjacke?“ „Schön.“
Das beantwortet uns zumindest, ob das Subjekt der Frage eher positiv oder negativ wahrgenommen wird, aber so richtig viel können wir mit so einer Antwort nicht anfangen.
Genauso erging es mir mit meinen Schulungsinhalten. Die Produktmanager und ich haben das getan, was in solchen Situationen immer am besten ist: persönlich miteinander sprechen. Und meinerseits: nachbohren, hinterfragen, Beispiele fordern.
Das schöne Badezimmer eines Hotels in Thailand war zum Beispiel schön, weil es vor allem besonders war: „open air“ in einen tropischen Innenhof mündend, akustisch untermalt von Springbrunnengeplätscher, welches gleichsam akustisch von möglichen Toilettennutzungsgeräuschen ablenken sollte. Diese Erklärung von „schön“ habe ich mir bis heute gemerkt! Oder der schöne Strand, der sich auf Rückfrage durch seinen pfiffigen Service auszeichnete: Durch das Hissen kleiner Fähnchen am Sonnenschirm konnten durstige Hotelgäste das Servicepersonal dezent und vor allem geräuschlos auf sich aufmerksam machen und wurden vom aufmerksamen Personal fürsorglich mit Cocktails und Knabbereien versorgt. Das sind die Mehrwerte und Besonderheiten, die sich einprägen, die einen Reisebüromitarbeiter als Insider glänzen lassen.
Die Gespräche mit den Produktmanagern haben durchweg sehr viel Spaß gemacht. Es war spannend, ihnen die Geheimnisse ihrer Hotels zu entlocken und auch die Kollegen selbst konnten in Erinnerungen schwelgen und sich bewusst werden, was für einen großartigen Job sie leisten, indem sie für unsere Kunden die Perlen der Übernachtungsmöglichkeiten aus einem Meer an Unterkünften herauspicken. Und rate mal, wie die Schulungen bei den Teilnehmern angekommen sind.
Wenn du auf Woxikon.de Synonyme für „schön“ googelst, findest du aktuell 896 Synonyme in 36 Wortgruppen. Ich bin mir sehr sicher, dass du das, was du bewerten möchtest, deutlich besser mit einem dieser Synonyme ausdrücken kannst.
Aber „schön“ steht nicht alleine da.
Was empfindest du zum Beispiel, wenn jemand deinen Vortrag „interessant“ fand? Oder deine neue Freundin „nett“? Beides unbestritten positive Attribute, aber ähnlich nichtssagend, wie „schön“. Speziell „nett“ tendiert heutzutage stark in Richtung eines negativen Images.
Frage dich sich also bei der Benutzung von Adjektiven immer:
Was möchte ich mit speziell diesem Adjektiv ausdrücken?
Kann es konkret genug beschreiben, was ich fühle, denke, wünsche?
Könnte das Adjektiv falsch interpretiert werden/ gibt es ggf. eine Doppeldeutigkeit?
Die Kernfrage: Gibt es ein besser geeignetes Wort?
In der mündlichen Kommunikation bleibt dir für diese Überlegungen nicht sehr viel Zeit. Gehe die Fragen dennoch kurz durch. Du wirst Praxis darin gewinnen. Wenn du diese Fragen in dein Denkmuster überträgst, geschieht es irgendwann ganz automatisch.
In der schriftlichen Korrespondenz hast du den zeitlichen Luxus, das beste Wort finden zu können. Nutze die digitalen Medien und ergoogle es dir. Sei ganz beruhigt: Das Wort befindet sich zu 100 Prozent sowieso schon in deinem Wortschatz, aber der Rechner wird es schneller finden, als deine Synapsen im Hirn es je könnten. Erspare dir die Arbeit. Außerdem öffnest du mit einem Blick ins Internet die Tür zur großen Wortschatz-Lagerhalle. Stöbere ruhig. Es gibt bestimmt weitere Wörter, die dir schon ganz entfallen waren und die du dir gleich mit-merken kannst. So umgehst du gleichzeitig ein tückisches Kommunikations-Schlagloch:
Du suchst ein Synonym für „schön“? Du findest ein Synonym für „schön“. Im Optimalfall ein sehr gut geeignetes. Im Oberoptimalfall ein auf viele Anwendungsfälle passendes Synonym. Du ahnst es schon: Dieses Synonym wird dein neues „schön“. Vielleicht streichst du „schön“ sogar aus deinem Wortschatz. Du hast jetzt ja ein viel besseres „schön“. Das macht deine Aussagen jedoch nicht zwingend konkreter und zutreffender.
Gehe also zurück auf Los und stelle dir die Fragen der vorangehenden Seite bei jeder deiner Antworten erneut. Und dann gehst du erneut in die Wortschatz-Lagerhalle und nimmst dir ein paar mehr Worte mit. Einfach auf Vorrat. Und für mehr Varianz. Das bist du deinen Antworten und dem Fragesteller schuldig.


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