LOST & FOUND

Meine heute glücklicherweise nicht verloren gegangenen Gedanken führen mich zu der Frage, wie viel Zeit Mensch eigentlich darauf verwenden sollte, verlorene, verlegte oder vergessene Dinge zu suchen…

Unser Heim scheint prädestiniert dafür zu sein, Gegenstände zu verschlucken, zu verstecken oder einfach gleich ins Raum-Zeit-Kontinuum zu werfen: Während die gestrig vermisste Fernbedienung sich erwartungsgemäß unterm Kissenstapel wiederfand, suchen wir die coronabedingt über ein halbes Jahr unbenutzte Schülerbusfahrkarte bereits seit Wochen. Hosen- und Jackentaschen: Fehlanzeige. Ranzen, Schubladen, Regale, Fächer: ebenso. Spannend ist aber: Während wir die eine Sache suchen, finden wir ganz viele andere, unerwartete (da unvermisste) Dinge wieder!

Mal ehrlich: Wer von uns hat nicht schon mal einen Geldschein in seiner Jackentasche (wieder)gefunden? Ich freu mich dann immer total und frage mich gleichzeitig, wieso ich den eigentlich noch gar nicht vermisst habe.

Noch viel spannender wird es beim Ausmisten/ Aufräumen: Das Kinderzimmeraufräumen durch seinen Bewohner himself endet meistens darin, dass erstmal ganz viel gespielt wird. Mit eben jenen Spielsachen, die teilweise schon über Jahre unbenutzt, unbeachtet und einfach vergessen in einer Schublade oder Kiste schlummerten. Voll cool, was man da alles wiederfindet und eigentlich gar nicht mehr ausmisten will.

Gleiches passiert mir beim Ausräumen meines Kleiderschrankes: Eigentlich entrümpele ich meinen Schrank immer dann, wenn ich neue Kleidung shoppen möchte, nur um festzustellen, was da noch für Schätze am Haken hängen. Das ist besser als Shoppen, weil ich auf diese Weise Kleider, Blusen, Shirts (wieder)entdecke, von denen ich schon gar nicht mehr wusste, dass ich sie besitze und: Sie kosten nichts, denn bezahlt habe ich sie ja schon. Gekauft in der Überzeugung, sie bestimmt ganz oft anzuziehen (und das dann doch zu vergessen).

Schwieriger wird es mit Freundschaften. Ja: Freunde sind wie Sterne, aber wenn man nicht wenigstens ab und zu mal in den Himmel schaut, dann entdeckt man sie irgendwann zwischen all dem Gefunkel vielleicht nicht mehr. Etwas, das ich leider viel zu oft vergesse: Freundschaften kontinuierlich zu pflegen. Das schlechte Gewissen klebt mir dann wie zäher Leim am Fuß und macht es schwer, einen Schritt auf vergessene, verlorene, kontaktversäumte, aber dennoch liebgehabte und vermisste Freunde zuzugehen. Die hängen auch nicht am Kleiderschrankbügel und warten darauf, dass man sie mal wieder hervorholt. Die leben ihr eigenes Leben. Auch ohne mich. Vielleicht ist mein Stern an ihrem Himmel auch schon verblasst.

Was mich fasziniert ist, dass in den meisten Fällen – wenn ich den lähmenden Leim ignoriere und einen Schritt auf einen (vorübergehend unachtsamerweise vergessenen) Freund zugehe – dies meist gut endet und wir uns so viele Schritte aufeinander zubewegen, dass die Vertrautheit und die gemeinsam erlebten Erlebnisse mehr zählen, als die vielleicht schon etwas verblasste Leuchtkraft am Freundes-Himmel.

Vielleicht ist es ein wenig so wie mit dem unerwartet wiedergefundenen Geldschein: Vermisst hat man ihn nicht, aber fragt sich dann doch, warum man ihn überhaupt vergessen konnte. Und freut sich einfach, ihn wiederzuhaben.

Und die Schülerfahrkarte? Die will scheinbar einfach nicht gefunden werden. Glücklicherweise hängt das Herz nicht dran und sie ist ersetzbar. Bei manchen Dingen (übrigens auch verlorenen Freunden, die gar nicht gefunden werden wollen) darf man also auch ohne Reue einfach loslassen. Und das tut auch ganz gut.

Socken Rock’n Roll

Eine Antwort zu „LOST & FOUND”.

  1. […] Dieser Gedankensprung ist inspiriert vom GedankenspaziergangLOST & FOUND […]

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