CRY ME A RIVER

Ich selbst scheine mehr für andere als über mich selbst weinen zu können. Vielleicht habe ich in meiner Jugend zu oft „Boys don’t cry“ gehört, obwohl Robert Smith damit auch nur durch die Blume sagen wollte, dass hinter einem coolen Lächeln manchmal einfach nur ein tieftrauriger Kerl steckt. Am meisten weine ich definitiv beim Filme-schauen. Bei „Findet Nemo“ hatte ich gefühlt schon vor dem Einblenden des Filmtitels eine Packung Taschentücher verbraucht. Auch Musik eignet sich hervorragend zum „ins-Tal-der-Tränen-fallen-lassen“. Ich bin mir sicher, dass jeder von euch eine Traurige-Lieder-Playlist im Ohr hat. Und diese ist bei uns allen unterschiedlich, weil wir in traurigen Momenten unterschiedliche Lieder gehört haben oder besonders fantastische Momente von Liedern untermalt wurden, deren Melodie wir noch hören, während diese besonderen Momente oder die Personen, mit denen wir sie erlebt haben, nicht mehr wiederkommen.

Ich glaube, bei mir ist das ein Prozess. Wenn es nicht um einen Film oder Song geht, sondern tatsächlich um mein eigenes Innerstes, das durch ein Ereignis ordentlich aus den Fugen gerät, verfalle ich zuallererst in eine Schockstarre. Immer mit dem kleinen Funken Hoffnung, dass der Auslöser für meine Trauer vielleicht gar nicht passiert ist, wohl wissend, dass ich mir diesen kleinen Funken rein zum Selbstschutz gönne. Ich benötige es immer „echt“ – muss verletzende Worte direkt und nicht in Watte gepackt hören, muss bis zu einer Beisetzung warten, um wirklich Abschied nehmen zu können. Und dann brechen die Dämme. Dann kann ich loslassen – die Tränen und auch die Trauer.

Für mich war Weinen nie ein Zeichen von Schwäche. Ich habe mich auch nie geschämt, in der Öffentlichkeit zu weinen. Ich hatte eher Angst, mit den Tränen auch die Traurigkeit und damit den Grund der Trauer zu verlieren. Traurig sind wir meist, wenn wir etwas Liebgewonnenes verlieren und da ich schwer loslassen kann, halte ich auch meine Tränen zurück. Denn: Wenn ich weine, dann fließen auch die letzten schmerzenden Gefühle aus mir heraus. Eigentlich gut, sollte man meinen, und doch verblasst damit ein trauriges, aber wichtiges Mosaikstück, das das Gesamtbild des lieb gewonnenen, verloren gegangenen Momentes oder Menschen komplettierte.

Und wir alle trauern anders, jeder auf seine eigene Weise.

Zurückspringend auf den Startpunkt unseres Spaziergangs und zu meinem Entschluss, euch auf eine Wanderung mit traurigen Gedanken mitzunehmen, reiche ich an dieser Stelle gern eine weises Wort nach:

Du magst denjenigen vergessen, mit dem du gelacht hast, aber nie denjenigen, mit dem du geweint hast. Khalil Gibran

An diese Momente erinnere ich mich sehr gut, sogar weit in meine Kindheit hinein. Denn mitten in der Traurigkeit sind genau diese Menschen, die einem Sonne schenken, wenn sich die Wolken des eigenen Herzens einfach nicht auflösen wollen. Sie schenken diese Wärme mit Worten, Gesten, Umarmungen – mit offenem Ohr und offenen Herzen und machen das bewölkte Herz wieder ein paar Nuancen heller.

Und natürlich gibt es auch beim Traurig-Sein immer wieder diese kleinen mutigen Glücksmomente, die uns zeigen, dass das Glas halbvoll ist, während wir zu verdursten meinen.

Diesen Gedankenspaziergang bin ich sehr zögerlich gestartet und habe mit jedem Schritt gemerkt, wie gut es tut, in der Trauer nicht allein zu sein oder auch mal der Mensch zu sein, der das halbleere Glas eines Freundes mit einer langen, festen, von Herzen kommenden Umarmung wieder füllt.

In den letzten Tagen war ich unfassbar traurig. Neben lieben Menschen, die ich meine Freunde nennen darf, hat mich wie immer auch Musik begleitet. Unpassender Weise war es dieses Mal „Cry me a river“ von dem sehr jungen Justin Timberlake, geschrieben für seine damalige untreue Freundin Britney Spears. Rein gar nichts mit meiner Trauer zu tun habend, war es dennoch der Song, der mich am besten durch diese Zeit getragen hat. Und für Justin T. seine Art der Liebeskummerbewältigung.

Your bridges were burned, and now it’s your turn cry me a river…


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