Wie ich im heißesten Hochsommer ausgerechnet auf Lametta komme? Wahrscheinlich, weil ich den Spruch „Früher war alles besser.“ nicht so sehr mag.
Aber im Grunde geht’s genau darum. Da habe ich jetzt fast ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel und nahm das Leben bislang gefühlt immer, wie es eben gerade kam. Und plötzlich – liegt’s am Alter oder einfach an den aktuellen Themen – wundere ich mich doch über so einige Veränderungen, die meine Gedanken und ich nicht mehr so einfach bereit sind, mitzugehen. Immer öfter schleichen sich Wortblitze, wie „Was war das damals doch einfach… leicht… unkompliziert… frei…“ zwischen meine Gedanken.
Damals… Da hatten wir drei Fernsehprogramme, die irgendwann abends Sendeschluss hatten und auf denen dann Indianerfilme liefen und Roberto ein Waschmittel bewarb, dass alles blanco machte. Wir aßen würziges Zigeunergulasch, labbrige Hamburger und knackige Wienerle und der Kunde bestand aus weiblicher und männlicher Kaufkraft und alle waren damit fein. Gezockt wurde höchstens auf dem Atari oder ‘nem kleinen Nintendo. (Da kann ich kaum mitreden, weil ich einfach gern durch die „Wildnis“ gebutschert bin und das auch ohne Zusatzanimation ganz großartig fand.) Nach Hause ging man, wenn‘s dunkel wurde oder der Magen knurrte.
Und heutzutage? Technischer und kultureller Fortschritt sind wichtig und richtig. Ich finde es gut, dass es nicht mehr so viel Lametta gibt. Ist nicht gut für die Umwelt und sieht sowieso kacke aus. Ich respektiere, dass Indianer nicht mehr Indianer, sondern amerikanische Ureinwohner genannt werden möchten und dass „Zigeuner“ ein Schimpfwort ist. Es ist beruhigend zu sehen, dass die Gesellschaft hierauf reagiert. Dennoch wünsche ich mir, dass unsere Kinder mit bunter Fantasie wachsen & gedeihen, mal eine Friedenspfeife am Lagerfeuer „paffen“ und würziges Paprikagulasch schlemmen. Bezeichnungen lassen sich anpassen. Kulturen erschließen sich uns sowieso ganz anders, z.B. durch’s Reisen, aber eben auch durch’s Lesen, Schlemmen, durch Musik und einen kunterbunten Freundeskreis.
Und sonst heutzutage? …ist vieles auch einfach besser und hat sich mittlerweile in eine längst überfällige Selbstverständlichkeit entwickelt (bzw. ist zumindest auf dem Weg): Heutzutage darf man Mann, Frau oder divers sein (und alle Nuancen dazwischen) und Mann, Frau oder divers lieben (und alle Nuancen dazwischen). Das ist auch Freiheit.
Ich bin froh, dass es auch in der Medizin immer wieder neue Errungenschaften gibt, die Leben erleichtern und erhalten – allerdings bei gefühlt gleich vielen neuen Krankheiten, die in einer einfacheren, weniger fortschrittlichen Zeit ggf. gar nicht entstanden wären.
Dem digitalen Fortschritt verdanke ich, dass ich nun schon seit zweieinhalb Jahren von zu Hause arbeiten darf. Ich verdanke ihm aber auch die elterlichen Herausforderungen, das richtige digitale Maß für das eigene Kind zu finden und die Kraftanstrengungen, so ein Maß z.B. nach den etwas großzügigeren Ferien wieder herunterzudrosseln.
So könnten wir uns jetzt sicher jeden einzelnen Aspekt unseres (Miteinander-)Leben vorknöpfen und die Pros und Contras abwägen. Mal gleicher, mal geteilter Meinung sein.
Diesen Spaziergang gehe ich mit euch heute ohne konkretes Ziel. Ich stelle fest, dass das mit dem richtig und falsch, der Ver- bzw. Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber mir gar nicht mehr so leicht fällt. Den richtigen Weg, die eine richtige Meinung, zu finden ist in der heutigen Zeit irgendwie komplex. Vermeintlich leichte Wegabzweigungen sind ggf. anspruchsvoller und so manche Abkürzung dauert womöglich länger, als wir für den eigentlichen Weg/ Gedankenspaziergang „früher“ benötigt hätten. Genauso unentschlossen, wie ich auf diesem Spaziergang unterwegs bin und den besten Weg suche, sind es auch meinen Gedanken, ob denn nun früher alles besser war oder doch heute. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Und so werde ich für meinen Teil weiterhin allen Veränderungen neugierig entgegentreten, aber nicht mehr alle uneingeschränkt mitgehen (ich bin „alt“, ich darf das
). Und: Lametta war noch nie und wird auch nie einen Weihnachtsbaum schmücken, auf dessen Dekoration ich Einfluss nehmen kann.
Ein philosophischer Gedanke zum Schluss: „Sollten unsere Kinder irgendwann mal meckern ‚FRÜHER war alles viel besser‘, dann meinen sie damit JETZT…“
Beim Gedankenspazierengehen war es ganz still, aber jetzt wo ich darüber nachdenke, welches Lied mich hätte begleiten sollen, dann ist es ganz klar „Jetzt“ von Cro, den Orsons & Tristan Brusch, aus dem die vorangehende Zeile entsprungen ist. Reinhören lohnt sich!


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