IST „-IN“ IN?

Diesen Gedankenspaziergang bin ich schon 2019 gegangen, als ich all meine Gedanken zur deutschen Sprache in ein kleines Buch habe fließen lassen („Sprichst du noch oder glänzt du schon?“). Einen Auszug möchte ich – gekürzt und leicht abgewandelt – mit euch teilen, da er gefühlt ganz gut in die aktuelle Welt passt:

Mit dem folgenden Thema begebe ich mich auf dünnes Eis, das ist mir bewusst. Aber: Euch bietet es eine hervorragende Grundlage für eine Diskussion mit Freunden, Kollegen oder auch mit dem eigenen Partner. Und: Eure Meinungen, liebe Leserinnen und Leser, werden auseinanderdriften! In die ein oder in die andere Richtung, aber eine Meinung zu diesem Thema hat jeder. Oder jede? Oder einfach jede(r).

Kennt ihr das? Ein Kundenschreiben, ein Werbebrief oder einfach nur eine Wurfsendung in eurem Briefkasten – gern direkt an euch gerichtet, denn personalisierte Werbung greift besser, als anonyme Werbeslogans. Das ist vielen Firmen klar und daher wird auch gern darauf zurückgegriffen. Aber: Wie spreche ich die Adressat*innen richtig und vor allem werbewirksam an? „Lieber Kunde“ wäre ja politisch nicht ganz korrekt, da männlich. Was ist mit all den weiblichen Kundinnen, die ich als Unternehmen mit meiner Botschaft, meinem personalisierten, aber doch nicht ganz persönlichen Anschreiben erreichen möchte?

Und das Beste: Alle Alternativen verzichten auf den Wurmfortsatz „-in“, der einem nicht-genderneutralen Begriff im Üblichen den letzten Anstrich zu einem auf die gesamte Menschheit zutreffenden Wort gibt, durch das sich dann bitte niemand mehr ausgegrenzt zu fühlen braucht.

Die gendergerechte Umformulierung des Wortes Laie erhält jedoch somit auch schnell eine – nennen wir es mal unpositive – Note: Irgendwie bin ich selbst als Frau lieber ein Laie (männl.) als ein „Mensch ohne Fachkenntnisse“ oder eine „fachunkundige bzw. fachfremde Person“ (genderneutral).

Gedankengang: Warum ist der deutsche Fachbegriff für geschlechtsneutrale Formulierungen eigentlich ausgerechnet ein englischsprachiger, wo es doch gerade in der englischen Sprache ausschließlich neutrale Formen gibt (the man, the woman, the sun, the moon)? „Gender“ selbst heißt wörtlich übersetzt „das Geschlecht“, das Verb „to gender“ gibt es genauso wenig wie das englische Wort „handy“ als Bezeichnung für ein Mobiltelefon. Aber Anglizismen sind ein anderes Thema, über das man/frau ein ganz eigenes Buch schreiben kann und „gendern“ klingt zugegebenermaßen um einiges geschmeidiger, als „geschlechtsneutral formulieren“.

Kommen wir nochmal zurück zur Allzweckwaffe „-in“: Bei mir als Leser – äh… lesende Person eines Anschreibens lösen diese, zumindest aktuell oft noch sehr unbeholfenen Versuche der geschlechtsneutralen Kommunikation, eher das Gefühl aus, einer Randgruppe anzugehören, die es zu integrieren gilt. Ich persönlich fühle mich folglich durch die bemühte Entmannung von Worten und noch mehr durch den Wurmfortsatz „-in“ mehr ausgegrenzt als integriert. Denn so ein Appendix vermiformis – den braucht selbst unser Körper heutzutage nicht mehr. Mittendrin statt nur dabei so ein Wurmfortsatz, aber zu melden hat er nichts, außer er entzündet sich, um auch mal etwas Aufmerksamkeit zu erfahren.

Geschlechtsneutrale Sprache – darum ging es schon in den Achtzigern: Zu jener Zeit hatte es sich unsere damalige Englischlehrerin zur Aufgabe gemacht, Werbebotschaften zu hinterfragen, zum Beispiel bei einer Tamponmarke mit zwei Buchstaben. Behauptete der Verpackungstext doch tatsächlich, dass die Tampons für jedermann leicht anwendbar seien… Nun lässt sich – wie beim Genderthema oft – darüber streiten, wie dieses „jedermann“ zu verstehen ist. Ich persönlich habe „jedermann“ immer als neutrales Wort verstanden, so wie „alle“. Meine Lehrerin fand die Wortwahl innerhalb des Textes für ein Produkt, welches sehr eindeutig exklusiv von Frauen angewandt wird, mehr als ungeeignet. Damit hatte sich sicher nicht unrecht und solltet ihr nun gut 25 Jahre später einmal so einen entsprechenden Verpackungstext lesen, dann werdet ihr hier kein „jedermann“ mehr finden, sondern direkte, aktivierende Ansprache sowie frauenspezifische Beispiele. 99% des Ziels erfüllt, denn dass der Verbrauchertest nun mal Verbrauchertest und nicht Verbraucherinnentest heißt – dafür kann das Unternehmen nun wirklich nichts. 😉

Wie auch immer ihr persönlich die Gender-Ansprachen-Frage für euch klärt: Wenn es sich für euch und noch viel mehr für den Empfänger eurer Worte richtig anfühlt, dann ist es das auch.

Letztendlich sind wir alle Menschen. Und – seid jetzt ganz stark, liebe „-innen“:
Mensch [Mẹnsch]
Substantiv [der]
Der Mensch – männlich.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich als „der Mensch“ ganz gut. Spannenderweise gibt es auch keine Mensch*innen. Und wenn wir ehrlich sind: So richtig gestört, dass wir alle Menschen sind, hat es bislang wahrscheinlich die wenigsten von uns.

Hinterlasse einen Kommentar