Manchmal entsteht ein Gedankenspaziergang in Momenten, in denen genau das Gegenteil passiert. Nämlich Stillstand. Weil man sich nicht bewegt, die Zeiger der Uhr eingefroren zu sein scheinen, es kein Ziel gibt, das erreicht werden muss.
Wann das in unserer schnelllebigen Zeit passiert? Wenn wir warten. Auf den Zug, dass die Ampel grün wird, beim Arzt dranzukommen, dass das Nudelwasser endlich kocht, auf eine verspätete Verabredung. Das kennen wir alle.
Tatsächlich verbringen wir durchschnittlich 374 Tage unserer Lebenszeit mit Warten. Puh… (Quelle: passenderweise www.zeit.de)
Aber was tun wir denn so, während wir warten? Ich musste heute auf meinen Sohn warten. „Ca. eine halbe Stunde.“, antwortete die Sprechstundenhilfe beim Kieferorthopäden auf die Frage, wie lange es denn ungefähr dauern würde. „Okay“, dachte ich mir, „‘ne halbe Stunde warte ich einfach auf dem schattigen Mauersims vor der Praxis.“ Es wurde eine Stunde und schließlich anderthalb.
Und was hatte ich? Zeit!
Und was fühlte ich? Langeweile.
Mir war soooooo langweilig. Zuerst habe ich ein paar Menschen mit Textnachrichten genervt, nochmal kurz geschaut, ob ich per Handy etwas für die Arbeit erledigen kann, mich über die schwindenden „Mitgliedszahlen“ in der christlichen Kirche ausgelassen, Quatsch-Fotos gemacht. Aber dann fiel mir nichts mehr ein – die Kopfhörer lagen zu Hause, so dass Musi hören ausfiel.
Laaaangweilig.
Aber dann begann ich mich zu fragen: „Was ist eigentlich so schlimm daran?“ Ist doch super: Zeit zu haben, die man einfach verschwenden kann. Mit was auch immer man will. Aber scheinbar will man/ wollte ich, dass dieser Zeitinvest irgendeinen Sinn ergibt. Erschrocken stellte ich fest: Ich bin eine totale Niete im Zeittotschlagen. Und allein dieses Verb – totschlagen… Warum sollte ich etwas totschlagen, was doch das Kostbarste ist, das ich besitze? Sollte ich sie nicht lieber hüten? Aber das klappt ja nicht, weil sie verrinnt. Mit jeder Sekunde ein Stück mehr. Und gerade darum sollten wir jede Sekunde nutzen. Aber ist „nichts tun“ nicht auch eine fantastische Art, seine Zeit sinnvoll (nicht) zu nutzen? Denn das mache ich viel zu wenig. Aber statt mich darüber zu freuen, ärgere ich mich, dass mir langweilig ist.
Ab heute habe ich ein neues Ziel: Ich gebe mir Mühe, das (Langeweile haben) nicht mehr zu tun. Sondern Wartezeit und die damit meist einhergehende Langeweile einfach anzunehmen. Zeit nicht totzuschlagen, sondern sie wirken zu lassen. Mich mit ihr treiben zu lassen – eben ohne Ziel. Die Gedanken fliegen zu lassen (das habe ich dann ja tatsächlich auch getan, wie ihr hier lesen könnt).
Zeit ist vergänglich und Zeit ist kostbar. Aber was haben mir am Ende meiner Lebenszeit diese durchschnittlichen 374 Tage gebracht, wenn ich mich diese gesamten 374 Tage über Langeweile ärgere oder mir krampfhaft eine sinnvolle Tätigkeit suche, mit der ich diese Zeit ebenso füllen kann. Ich möchte lieber in dem Wissen auf diese 374 Tage zurückblicken, dass DAS meine 374 Tage Bonuszeit waren. Die ich einfach genossen habe. Das Leben einfach habe passieren lassen.
Zeit in ihrer reinsten Form. 374 Tage, die ich einfach mal nicht sinnvoll genutzt und ihnen somit sogar einen ganz besonderen Sinn gegeben habe. Gedankenspazierengehen macht Spaß, aber ein wenig Stillstand ab und zu… denkt mal drüber nach…
Die zauberhafte Róisín Murphy von Moloko begleitete mich heute auf meinem Zeit-Gedankenspaziergang.: „Give up yourself unto the moment – the time is now …“


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